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Neuseeland – auf den Spuren der Hirsche

Der Helikopter kommt immer näher. Doch das kräftige Leittier bleibt ruhig stehen. Stolz dreht der Hirsch seinen Kopf in Richtung des Fluggeräts. Der Blick aus den großen braunen Augen wirkt auch auf die Distanz entschlossen und die Botschaft eindeutig: Auch von diesem merkwürdigen, lauten Ding, das durch die Luft angeflogen kommt, will sich der Hirsch seine Herde nicht durcheinander bringen lassen. Es ist eine beeindruckende Begegnung zwischen wilder Natur und Technik inmitten der bergigen, rauen und doch auch lieblichen Landschaft im Südwesten von Neuseeland. Erst im letzten Moment, als der Hubschrauber sich dem Hirsch auf nur wenige Meter genähert hat, stobt das Rotwild davon, hinter den anderen, vor allem den jüngeren Tieren her, die schon längst Reißaus genommen haben. Während im „Wilden Westen“ die Cowboys ihre Herde Rinder mit Pferden vor sich trieben, braucht Charlie Ewing (http://www.aspiringhelicopters.co.nz/) dafür einen Hubschrauber. Riesig sind die Weideflächen des Hirschfarmers. „1800 Hektar“, sagt der großgewachsene Mann mit dem grauen, dichten Haarschopf während des dröhnenden Fluges stolz in sein Mikro, das am Kopfhörer befestigt ist: „Meine Grundstücksgrenze geht hinauf bis auf 1600 Meter. Die Hirsche schaffen es, bis auf diese Höhe die Berghänge hochzuklettern.“

Die Hirsche schaffen es, bis auf 1600 Meter die Berghänge hochzuklettern. Foto: Sonja Thelen

Dort, wo andere in der  ursprünglichen Natur ihren Urlaub verbringen, betreibt Charlie Ewing auf der neuseeländischen Südinsel seine Hirsch- und Schafzucht rund um den malerischen Lake Wanaka. Im Sonnenschein glitzert das kristallklare Wasser. Wild und unverfälscht wirkt dieser Flecken Erde, der sowohl den europäischen Alpen als auch der grünen Insel Irland ähnelt. Für Segler, Jetboat-Fahrer, Paraglieder, Fallschirmspringer und Kajaker ist der See ein Eldorado, das von den grünen Hängen der Harris Mountains umrahmt wird. Jetzt, nachdem sich der „Jahrhundertsommer“, wie von allen Seiten beteuert wird, dem Ende neigt, ist das Gras schon recht braun und vertrocknet. Trotzdem ist die Kulisse mit den farbintensiven Kontrasten einmalig: Der knallblaue Himmel spiegelt sich im türkisblauen Lake Wanaka. Hoch ragen die braungrünen Berge auf – mit ihren dunklen Gipfeln aus Schiefer und den weißen Gletschern, die sich an deren Flanken schmiegen. Gespeist wird der See von den Flüssen, die sich durch das Massiv des Mount Aspiring winden: Der nach dem gut 3000 Meter hohen Berg benannte National Park ist der zweitgrößte Neuseelands und liegt wegen seiner Ebenen, Berge und Flüssen bei Wanderern und Anglern hoch im Kurs. Und im Winter wandelt sich das Gebiet in ein Skiparadies für Langläufer, Skifahrer und Snowboarder, die sich auf den Hängen von Codrona und Treble Cone ins weiße Vergnügen stürzen. Es ist kaum verwunderlich, dass der neuseeländische Regisseur Peter Jackson auf der dem Alpenland ähnelnden Südinsel zahlreiche Drehorte für seine Monumental-Verfilmungen vom „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“ fand.

1800 Hektar umfassen die Weideflächen des Hirschfarmers. Foto: Sonja Thelen

Charlie Ewing indes hat in seinem Alltag nicht so viel Zeit, die Lieblichkeit der Landschaft zu genießen. Vielmehr bereitet sie ihm den nährhaften Boden, um sich sein Brot zu verdienen. Obwohl ein etablierter Hirschfarmer wie der Mittsechzigjährige durchaus ein gutes Einkommen hat, wie er lachend bekundet. 7000 Tiere umfasst seine Herde, die sehr naturnah lebt. Hinzu kommen noch 3000 Schafe. Vor 15 Jahren begann Charlie Ewing mit der Hirschzucht: „Ich wollte es einfach mal ausprobieren“, erzählt er, während des Helikopterfluges über seine ausgedehnten Ländereien. Es war durchaus ein anstrengendes Unterfangen dieses weitläufige Areal für die Hirsche einzurichten, die ihren Auslauf brauchen. Gatter und Zäune mussten nicht nur in den Ebenen, sondern auch an den Berghängen errichtet werden. Die Pfähle wurden unter schwierigsten Bedingungen in die Böden gerammt, und die Zäune daran befestigt.


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Daher ist der Hubschrauber für Charlie das zentrale Fortbewegungsmittel bei seiner Arbeit: Er fliegt damit die Begrenzungen ab, checkt ob die Befestigungen noch in Ordnung sind, überprüft, ob seine Tiere in Ordnung sind und treibt sie damit von einer Weide auf eine andere, wo das Gras wieder frischer sprießt. Den Winter verbringt das Wild in der Tiefebene, die warme Jahreszeit auf den Hochebenen. Die Tiere grasen auf weiten Grünflächen, ernähren sich von Blättern, trinken reines Wasser und atmen die klare Luft der neuseeländischen Natur, die nicht von den Emissionen produzierender Industriebetriebe belastet ist. Auch sind Zusatz- oder Aufbaunahrung für neuseeländische Hirschfarmer tabu. All das schlägt sich in dem charakteristisch milden Geschmack und geringen Fett- und Cholesteringehalt des Fleisches nieder, das zudem wenig Kalorien hat und reichlich Eisen enthält.

Der Hubschrauber für Charlie Ewing das zentrale Fortbewegungsmittel bei seiner Arbeit. Foto: Sonja Thelen

Auf dem Rückkehr zu seiner Hubschrauber-Basis, wo noch weitere Helikopter bereit stehen, die Touristen für Flüge rund um den Lake Wanaka bis hin zum berühmten Milford Sound buchen können, erzählt Charlie Ewing, dass bald die Brunftzeit der Hirschböcke beginne. Doch die neuseeländischen Farmer lassen die Tiere dann in Ruh‘. Ganz im Gegensatz zu Deutschland: Dort wird das Wild just zu dieser Zeit gejagt. Dabei strotzen die männlichen Exemplare dann vor Testosteron. Zudem setzt die Jagd Stresshormone frei. „Die Hormone machen sich im Geschmack des Fleisches bemerkbar. Es wird herber“, erklärt Innes Moffat von „Deer Industry New Zealand“ und bringt auf den Punkt, was der „Hirsch zum Glücklich sein“ braucht: „Frisches Gras, Sonnenschein, klares Wasser und ganz viel Natur.“ In Neuseeland herrschen ihm zufolge dafür „die idealen Bedingungen“.


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Auch werden in Neuseeland die Tiere nicht über weite Strecken zum Schlachter transportiert, sondern vor Ort mit einem Bolzenschuss erlegt, erklärt Innes Moffat. Ein weiterer Unterschied sei das deutlich jüngere Alter der Tiere: Zwischen zwölf und 18 Monaten seien sie alt, wenn sie in hochmodernen und nach strengsten Hygienevorschriften arbeitenden Fleischbetrieben verarbeitet werden. Jede Stufe des Produktionsprozesses von der Farm bis zum Transport unterliege strikten Kontrollen. „Und wir sind bisher von Tierseuchen wie BSE oder Maul- und Klauenseuche bisher vollkommen verschont geblieben“, berichtet der Sprecher von Deer Industry New Zealand.

Erst im letzten Moment, als der Hubschrauber sich dem Hirsch auf nur wenige Meter genähert hat, stobt das Rotwild davon, hinter den anderen, vor allem den jüngeren Tieren her, die schon längst Reißaus genommen haben. Foto: Sonja Thelen

Obwohl Neuseeland hierzulande vor allem für seine Schafzucht bekannt ist, sind die Inseln im Südpazifik der weltweit größte Exporteuer von Hirschfleisch. Britische Einwanderer hatten im 19. Jahrhundert das Rotwild zum Jagen eingeführt. Auf gut vier Millionen Einwohner kommen heute fast eine Million Hirsche. Vor allem seit den 1970er Jahren hat sich das Premiumfleisch zu einem weltweiten Exportschlager entwickelt, von dem 95 Prozent in den Export kommen, 80 Prozent davon nach Europa. Deutschland ist für viele überraschenderweise der größte Importeur. Wie Innes Moffat betont, erfolgt der Transport in die Importländer nach ökologischen Prinzipien: In den Betrieben wird das Fleisch in küchenfertige Zuschnitte wie Filet, Roastbeef, Ober- und Unterschale, Hüfte oder Nuss zerteilt, vakuumverpackt und gekühlt oder schockgefrostet „CO²-arm“, wie der Experte betont, „per Schiff exportiert“. 14 Wochen hält sich das Fleisch frisch. Sieben Wochen dauert der Transport mit dem Schiff.

Einer, der aus Wales auswanderte, um sich in Neuseeland ganz der Hirschzucht zu widmen ist David Morgan. Vor elf Jahren hat er seine Zelte angebrochen und ist mit der kompletten Familie – Frau und drei Kinder – auf die Südinsel nach Pleasant Point gezogen, im Bezirk Canterbury – gut zwei Stunden Autofahrt von Christchurch entfernt. Dort fand er nach langer Suche seine Farm: die Raincliff Station. 100 Jahre ist das stattliche aus einem hellen Stein gebaute Farmerhaus alt. Als junger Mann von nicht einmal 20 Jahre zog es ihn, den Sohn eines walisischen Schafzüchters, in die weite Welt. Er wollte etwas erleben und kam nach Neuseeland. Er arbeitete auf Hirschfarmen und lernte so die Zucht kennen, erzählt der heute 47-Jährige. Vor allem liebt er das Fleisch: „Ich kannte von früher nur das geschossene Wild, das viel herber schmeckt. Aber der Neuseelandhirsch schmeckt viel zarter, und man kann ihn so viel mit ihm anstellen: BBQ, Steak, Burger, Filet und vieles mehr.“

David Morgan: Ich kannte von früher nur das geschossene Wild, das viel herber schmeckt, aber der Neuseelandhirsch schmeckt viel zarter. Foto: Sonja Thelen.

Zurück in Großbritannien begann David Morgan, zusammen mit Vater und Bruder den Familienbetrieb umzustrukturieren, und mit der Hirschzucht. „Mit Erfolg“, erzählt er, während wir an dem sonnigen Spätsommertag im Schatten seines stattlichen alten Bauernhauses sitzen. Doch die Sehnsucht nach den Weiten und der Schönheit Neuseelands blieb. „Nachdem ich dann die richtige Farm gefunden habe, haben wir 2001 schließlich unsere Koffer gepackt und sind ausgewandert.“ Er mag die Weitläufigkeit und die entspannte Lebensweise der unkomplizierten Neuseeländer. Dass es bis zum nächsten „Nachbarn“ einige Meilen sind, stört weder ihn noch die anderen Hirschfarmer: Eine Entfernung von 15, 20 Minuten ist für sie quasi um die Ecke.

Es ist eine ziemlich holperige Fahrt über die zerfurchten Pfade, die sich durch das hügelige Grasland ziehen, und ein ständiges „Stop and go“. Foto: Sonja Thelen

Während sein „Kollege“ Charlie Ewing weiter im Südwesten vor allem auf den Hubschrauber angewiesen ist, ist David Morgan mit dem Geländewagen auf seinem 2000 Hektar großen Besitz unterwegs. Es ist eine ziemlich holperige Fahrt über die zerfurchten Pfade, die sich durch das hügelige Grasland ziehen, und ein ständiges „Stop and go“. Gatter auf – Gatter zu: Immer wieder muss der Farmer bei seinen Kontrolltouren aus dem Wagen hüpfen, das Tor öffnen und es danach wieder schließen. Sonst könnten die Tiere – Morgan hält neben den 4000 Hirschen auch noch 2500 Schafe und 3600 Rinder – irgendwo herumlaufen. Und das ist nun trotz des vielen Platzes, den die Tiere haben, nun doch nicht gewollt. Sanft geschwungen ist das Land. Zwischendurch gibt es kleine Waldstücke, in denen Misch- aber auch Nadelbäume wachsen. Das Klima in dem lieblichen von Ebenen und Berggipfeln geprägten Landstrich von Canterbury – zwischen Pazifik und den neuseeländischen Südalpen – ist recht mild. In den liebevoll gepflegten Gärten  gedeihen prächtige Rosensträucher, Lupinen, Lavendel aber auch Palmen. Aber die Winter können recht streng sein, und die Temperatur durchaus unter null Grad fallen, erzählt David Morgan. Aber auch dann verliere dieses ursprüngliche Land nichts von seinem Reiz. www.neuseelandhirsch.de

Sonja Thelen

Titelfoto / Während im „Wilden Westen“ die Cowboys ihre Herde Rinder mit Pferden vor sich trieben, braucht Charlie Ewing dafür einen Hubschrauber. / Foto: Sonja Thelen

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