Geschätzte Einhundert Mal bin ich auf der A26 durch die „Aube en Champagne“ gerauscht, ohne dabei von der Autobahn abzufahren. Das wird sich heute ändern. Ich nehme die „Sortie 22“ und steuere auf Troyes zu, mit dem guten Vorsatz an einem Tag gleich mehrere Sehenswürdigkeiten des französischen Departements der Südchampagne zu entdecken.
Troyes, die Hauptstadt, ist eine wahre Schönheit aus dem Mittelalter http://de.tourisme-troyes.com/. Die Innenstadt hat den Umriss eines Champagnerkorkens und ein Spaziergang im historischen Stadtkern mit seinen vielen eindrucksvollen Fachwerkhäusern entführt zu einer Reise in die Vergangenheit. Augenblicklich werde ich in die Zeit der Champagnermärkte versetzt, die inmitten von Kramläden und herrschaftlichen Stadthäusern, den Ruhm der Stadt begründeten.
Troyes war einst von Kirchen, Klöstern, Abteien und anderen religiösen Bauten wie übersät. Heute enthalten die neun unter Denkmalschutz stehenden Kirchen und die Kathedrale viele Meisterwerke der Bildhauerei und Glasmalerei.
So wie die Stadt bieten auch die Museen von Troyes dem Liebhaber eine Mischung aus Tradition und Moderne: Museum für moderne Kunst, Geschichtsmuseen, die alte Apotheke im Hôtel-Dieu-Le-Comte,…
Aber Troyes ist nicht nur eine historische Schönheit, sondern auch eine dynamische Stadt mit einer sehr starken Textiltradition. Viele große Marken haben ihre Karriere in Troyes begonnen wie zum Beispiel Lacoste. Heute sind hier die bekanntesten Textilmarken und -unternehmen vertreten. Schnell entwickelte sich Troyes zur Hauptstadt der Fabrikläden. Die Besucher strömen herbei, um Schnäppchen zu machen und Qualitätsmarken 30 bis sogar 50 Prozent preiswerter als in einer Boutique zu erstehen.
Beim Mittagessen in einer „Brasserie“ muss ich unbedingt herausfinden, was sich hinter „AAAAA“ verbirgt. Ich bestelle also eine Andouillette aus Troyes, eine ganz besondere französische Spezialität, eine Wurst die kräftig gewürzt ist, wobei der Innereiengeschmack stärker hervortritt. Die „Association Amicale des Amateurs d’Andouillettes Authentique“ wacht über erstklassige Qualität.
So gestärkt kann die Erkundungstour durch das Departement weitergehen. Östlich von Troyes erstreckt sich der beeindruckende regionale Naturpark Forêt d’Orient über 80.000 Hektar und 57 Gemeinden. In diesem waldreichen Gebiet gibt es drei riesige Stauseen und unzählige Teiche. Jetzt bedauere ich, dass ich nicht mit dem Fahrrad unterwegs bin, denn ein hervorragend ausgebauter Radweg führt in das Gebiet der großen Seen. Der größte, der Lac d’Orient hat eine Fläche von 2.500 Hektar gefolgt vom Lac du Temple mit 1.800 Hektar und dem Lac Amance mit 490 Hektar. Ich stoße bei Géraudot auf den Lac d’Orient mit seiner riesigen Wasserfläche und überlege, ob ich noch einen Abstecher zu einer von 15 Fachwerkkirchen machen soll. Nachdem sie lange vernachlässigt waren, sind diese Holzkirchen heute restauriert und erstrahlen fast wie neu. Besonders die Kirchen von Longsols (15. und 16. Jh.) und Lentilles (16. Jh.) lohnen. Oder ein Schlenker nach Brienne-le-Château, das als Ausbildungsort Napoleons, der hier von 1779 bis 1784 als Internatszögling an der damaligen königlichen Militärschule studierte, bekannt geworden ist ? In diesem Jahr denken Geschichtsinteressierte ganz besonders an den französischen Kaiser und an den Frankreichfeldzug vor genau 200 Jahren. Hier wurden mehrere Schlachten gegen die 6. Koalition geschlagen und ein reiches Programm erinnert jetzt an diese Ereignisse. Ich entscheide mich jedoch, dem Champagnergebiet um Bar-sur-Aube einen näheren Besuch abzustatten.
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Vorbei am Erlebnispark Nigloland erreiche ich die am Rande von Champagne und Burgund gelegene Côte des Bar, die die Hauptregion der Aube ist, in der man den König der Weine erzeugt. Neben den Weinbergen von Montgueux oberhalb von Troyes und von Villenauxe im Nordwesten des Departements konzentrieren sich die Gemeinden mit der Herkunftsbezeichnung “Champagne” bei der Côte des Bar zwischen Bar sur Seine und Bar sur Aube.
Eine markierte Strecke von 220 Kilometern schlängelt sich gemütlich durch Höhenzüge und Täler, Winzerdörfer und Champagne-Häuser. Entlang dem sprudelnden Reiseweg öffnen 29 Weinkeller dem Publikum ihre Pforten http://www.aube-champagne.com/de/. Hier haben die Champagnerhäuser noch eine menschliche Dimension. Ich halte zu einer autofahrergerechten Minimalverkostung an. Der nette Franzose versieht wie die meisten Winzer die Traubenernte, die Weinbereitung und den Verkauf selbst. Höchstpersönlich empfängt er in seinem Weinkeller und weiht in die Geheimnisse seines berühmten Gebräus ein. „Santé“, ein königlicher Augenblick! Und dann noch der Gedanke, dass manche dieser Keller aus dem 12. Jahrhundert stammen!
Es ist nicht leicht, sich von diesem angenehmen Ort zu trennen, aber es warten noch weitere Sehenswürdigkeiten auf meiner Route. Etwa acht Kilometer süd-östlich wurde Glas schon seit dem Jahr 1300 bearbeitet. 1678 gründete ein venezianischer Glasmacher in Bayel die “Cristalleries” und unter Ludwig XIV. wurden sie zur königlichen Kristallmanufaktur der Champagne. Bis heute weiß die Fabrik ihren Glasmachermeistern die vielfältigsten und ausgefeiltesten Techniken zu übermitteln. Eine Besichtigung lässt mich über ihre Fertigkeiten staunen: Glasblasen, Schneiden und Gravieren von Hand sowie Anfertigen von gebräuchlichen und dekorativen Gegenständen aller Art.
Ganz in der Nähe auch die Zisterzienserabtei von Clairvaux. Sie ist ein Meisterwerk der Klosterarchitektur und wurde im 12. Jahrhundert von Bernhard von Clairvaux gegründet und in der Revolution unter Napoleon Bonaparte zu einer Strafanstalt umgebaut. Obwohl ein Teil der Örtlichkeiten immer noch als Gefängnis dient, kann man bei einer Besichtigung des Kellers, einer Schlafsaaletage, der Prälatur und des wundervollen Gebäudes der Laienbrüder einige Juwelen der Zisterzienserarchitektur bewundern http://abbayedeclairvaux.com/.
Bei der Auffahrt 23 auf die Autobahn A5 endet meine Besichtigungstour. Für heute ! Schließlich gibt es in der „Aube en Champagne“ noch so viele Überraschungen. Das Champagnerdörfchen Les Riceys, die Kirche Saint-Jean-Baptiste in Chaource mit bewundernswerter Grablegung von 1515, das Renaissance-Schloss La Motte Tilly in der Nähe von Nogent-sur-Seine, der botanische Garten in Marnay-sur-Seine, Renoirs Atelier in Essoyes, warten auf einen Besuch. Und wer weiß, vielleicht komme ich auch einmal mit dem Rad.
Praktische Informationen:
„Aube en Champagne“ ist ein französisches Departement süd-östlich von Paris mit einer Fläche von 6.000 km² und 304.000 Einwohnern. Die zentrale Stadt ist Troyes.
Das Gebiet ist über die Autobahnen A26 und A5 gut zu erreichen. Etwa 500 Kilometer sind es von Köln, Frankfurt oder Stuttgart. TGV-Bahnhof bei Reims.
Deutschsprachige Internetseite des Fremdenverkehrsamtes „Aube en Champagne“:
www.aube-champagne.com/de
Jörg Hartwig
Titelfoto: Aube en Champagne Tourisme