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Shanghai, das Symbol des chinesischen Wirtschaftswachstums. Foto: CAISSA Touristic

China: Was es mit Tabus auf sich hat

Wer viel im Ausland unterwegs ist, sollte um sie wissen: die Tabus oder auch No-Gos der Kulturen, in der man gerade unterwegs ist. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Tabu-Forscherin Sabine Krajewski hat nun ein Buch darüber geschrieben. Der Verlag erzählt in Interview-Form, worum es der Autorin geht:

Ich kann mich so bewegen, dass es behutsam und achtsam passiert, aber eben auch verletzend. Menschen sind manchmal taktlos und grenzüberschreitend, teils auch unbewusst, weil sie kein Wissen haben um bestimmte Verhaltensregeln und Tabus. Das hat zum Großteil mit unterschiedlichen Kulturen zu tun. Aufgrund Ihrer verschiedensten Auslandsaufenthalte, Ihrer Forschungen und Untersuchungen sind Sie zu aufschlussreichen Ergebnissen gekommen. Vielleicht stellen Sie sich erst mal vor, wer Sie sind, was Sie machen, und was Tabu für Sie bedeutet.

Krajewski: Ich komme aus Berlin – gebürtig aus Salzgitter – und habe in verschiedenen, vor allem angelsächsischen Ländern gelebt, in den USA, Kanada. Fünf Jahre in England, dann wieder in Deutschland, von da aus nach China und jetzt arbeite ich an der Macquarie University in Sydney, Australien.

Tabu ist für mich ein elementares Thema in der interkulturellen Kommunikation. Wenn man in einem Land fremd ist, noch nicht vertraut mit den Gegebenheiten, kann man vieles falsch machen. Die meisten Menschen kennen diese unangenehmen Augenblicke des betretenden Schweigens, wenn man merkt, man ist ins Fettnäpfchen getreten. Aufklärung auf beiden Seiten ist notwendig und hilfreich.

Für mich war China das Fremdeste!

Haben Sie ein paar Beispiele für uns?

Was mir in China auffiel und mich am meisten begleitete, war, dass Spucken kein Tabu ist, und zwar nirgends. Das ist das erste, das auffällt, denn es passiert überall, in Räumen, außerhalb von Räumen.

Im Bus finden Sie das ständig, ganz spannend im Taxi, da gibt es einen Spucknapf zwischen Fahrer und Beifahrer…meistens geht’s gut.

Spucken war früher auch in Europa kein Problem, das hat sich erst mit der Aufklärung wegen Tuberkulose geändert. Ein gutes Beispiel, Verhaltensweisen immer im Kontext des jeweiligen Kulturkreises zu betrachten.

Die Chinesen ekeln sich nicht vorm Spucken – wie sieht es jetzt bei Ihnen aus?

Ich ekel mich immer noch, sogar noch mehr! In China gilt Spucken als reinigend, es gibt viel Luftverschmutzung und die muss raus. Das Spucken anzusprechen ist allerdings keine gute Idee, es wird entweder oder das Thema gewechselt, es ist ein Tabubereich, obwohl es überall präsent ist.

Gibt es in China ein Tabu, das bei uns Konvention ist, worüber Sie sich gewundert haben?

Ja, Umkehrungen finde ich interessant, z.B. was bei uns tabu ist beim Essen oder wie man Tiere behandelt, das ist in China ganz anders. Wenn das Essen noch lebendig ist, dann ist es einfach frisch und besonders empfehlenswert. Ein noch lebender Hummer zum Beispiel, wo der Kopf noch atmet und der Körper schon abgetrennt und mundgerecht gewürfelt ist.

Welche Verhaltensweisen in China sind so ganz anders als bei uns? Welche Tabus gibt es noch? Ist Sexualität – auch Homosexualität – Thema?

Verhaltenstabu ist der Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit – das wird nicht gern gesehen. Mädchen miteinander gehen Hand in Hand, aber Mädchen und Junge nicht. Man küsst sich auch nicht öffentlich. Auch nicht in Filmen. Sexualität ist nicht Teil der Öffentlichkeit. Die junge Generation ist da schon ein bisschen anders, aber es wird nicht öffentlich geknutscht, das ist ein Tabu.

Was ist mit Homosexualität?

Gibt es nicht, nicht offiziell.

Was sagen Sie Managern, die nach China gehen?

Es ist inzwischen relativ bekannt, dass man die Visitenkarte mit beiden Händen übergibt und die, die man bekommt, nicht einfach in der Hosentasche verschwinden lässt. Eine echte Herausforderung gibt es bei Geschäftsessen, denn es ist sehr unhöflich, etwas abzulehnen. Es gibt einen Unterschied zwischen der Reaktion von Frauen und Männern.

Männer machen sich einen Spaß daraus, fast ein Sport, alles zu essen, auch unbekannte glibberige Sachen, weil sie nicht schwach wirken wollen. Frauen sind eher mal geneigt zu sagen: ich bin schon so satt. Sie tun sich das nicht an.

Tabus verändern sich doch auch über die Zeit?

Immer wieder erlebe ich mit meinen Studenten der interkulturellen Kommunikation, die aus vielen verschiedenen Ländern und Kulturen kommen, dass man sich oft nicht bewusst ist, dass verschiedene Personen das gleiche Thema ganz unterschiedlich betrachten, es eben nicht nur eine Sichtweise gibt. Und dass sich die Einstellungen und Tabus über die Zeit verändern. Bis in die späten achtziger Jahre war Homosexualität strafrechtlich verfolgt in Australien. Die jungen Studenten wissen das gar nicht mehr. Oder am Beispiel des Themas Scheidung. Noch vor 30, 40 Jahren waren geschiedene Frauen gebrandmarkt, darüber sprach man nicht, ein wirkliches Tabuthema.

Heute sieht das in Australien ganz anders aus, aber in Indien ist es noch immer ein sehr großes Tabu. Viele Dinge sind einfach eine Frage der Zeit. Was tabu ist, hängt vom Ort ab, an dem man ist, von der Zeit, in der man lebt und von persönlichen Umständen wie Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildung, Religion u.a.

Wie reagieren Chinesen, wenn Tabus verletzt werden?

Durch Schweigen. Daher dauert es oft, bis man überhaupt merkt, dass man einen Tabubruch begangen hat. In asiatischen Ländern geht es darum, das Gesicht zu wahren, das eigene, aber noch viel mehr das Gesicht des anderen. Ein Chinese, der freundlich sein will, wird immer dein Gesicht wahren wollen, also keine Kritik äußern.

Wie streitet man auf Chinesisch zum Beispiel?

Gar nicht. In China und auch vielen anderen asiatischen Länder sind Auseinandersetzungen niemals konfrontativ, weil es das Gesicht-wahren verhindert, den anderen bloßstellen könnte. Man will sich ja später wieder begegnen können.

Doch wo bleiben all die Emotionen, Aggressionen?

Das hat man in den Kulturkreisen einfach viel besser im Griff als bei uns, sie sind kontrollierter. Wer im Streit die Stimme erhebt oder schreit, verliert damit sein Gesicht. Daher tun Chinesen das im Prinzip nicht.

Kann man sagen, dass die Gesetzmäßigkeit des Gesicht-wahrens eine so große Anforderung ist, die Kraft verleiht, Dinge zu unterlassen, die wir hier tun?

Ja. Die Chinesen sind viel ausgeglichener – zumindest kommen sie so rüber.

Gibt es auch ein schönes Tabu, das Sie in China oder einem anderen Land erlebt haben? Etwas, das Sie gerne auch bei uns hätten?

Ich finde es erfreulich, dass die Menschen in den asiatischen Ländern sich nicht so auseinandernehmen, vor allem nicht vor anderen Leuten. Dass es dort eine andere Art der Kommunikation gibt – die des Gesicht-wahrens, mehr Achtsamkeit. Das ist ein schönes Tabu. Weniger anstrengend.

Ist es nicht im Gegenteil viel anstrengender, dauernd die Grenzen auszuloten? Was darf ich noch, wo habe ich eine Grenze überschritten?

Zwischen Gesprächspartnern aus verschiedenen Kulturkreisen schon, aber zwischen den Chinesen funktioniert es völlig unangestrengt. Es gibt einfach ganz viel Unausgesprochenes, das man aber als Einheimischer weiß, weil es ein Teil der Kultur ist. Eine sehr wichtige Erkenntnis: wenn man in Asien zum Beispiel “vielleicht” oder “kann schon sein” sagt, heißt das eigentlich “nein”.

Und wie ist es mit dem Thema Tod?

In Europa haben die Menschen meist das Problem damit, wie sie mit den Hinterbliebenen umgehen sollen. In China ist alles, was mit dem Tod zu tun hat, absolut tabu. Über Tod zu sprechen ist mehr tabuisiert als in westlichen Ländern.

Stimmt es, dass die Vier dem Todeszeichen entspricht?

Ja, es ist einfach das gleiche Wort, “sí” heißt vier, klingt aber genauso wie das Wort für Tod, es ist ein Homonym. Daher gibt es keine vierte Etage, Audi A4 kann man nicht verkaufen. In ein Haus einzuziehen mit der Nummer vier bringt Unglück – wie bei uns mit der Zahl 13, die auf das Abendmahl zurückgeht.

Sie vermitteln Menschen Wissen, wie sie sich in der anderen Kultur verhalten, mit welchen Tabus sie es zu tun haben werden. Was geben Sie an diejenigen weiter, die aus anderen Ländern nach Deutschland gehen? Welche Tabus sollten sie kennen? Nennen Sie uns drei Tabus, die beachtet werden sollten in unserem Land.

Aus meiner Sicht ist alles, was mit dem Holocaust zusammenhängt, ein schwieriges Thema. Bestimmte Fragen sollte man nicht stellen, die aber eher universell tabu sind, wie nach Verdienst, Alter oder Krankheiten. Mir fallen mehr Beispiele ein, was man als Deutscher in anderen Ländern nicht machen sollte: man sollte sich nicht ständig beschweren. Das macht kein Chinese. Australier auch nicht. Also als Deutscher ist das auch immer unangemessen.

Verraten Sie uns Ihre Motivation, sich mit diesem Thema, mit Tabus und ihrer Wirkungen zu befassen?

Weil ich viel gereist bin. Die erste Konfrontation für mich war, als ich in London gelebt habe, einer Stadt, in der es sehr viel bunter war als in Berlin. Da habe ich mal eine schwarze Studentin gefragt, wo sie denn ursprünglich herkommt. Das macht man natürlich nicht, sie war Engländerin. Als bei mir der Groschen fiel, war es mir sehr peinlich. Mein erster Fettnapf – zumindest der, den ich bemerkt habe. So fing ich an, mich für Tabus zu interessieren, was merkt man, was nicht, wie kann man es vermeiden und wie repariert man es, wenn einem so was passiert. Eine Kultur lässt sich ja nicht in die andere übersetzen, man muss einfach einen anderen Denkansatz haben.

Wie können Ihre Erkenntnisse im Business weiterhelfen? Was dürfen Unternehmen erwarten von Studienabgängern mit mehr interkultureller Kompetenz?

Unternehmen wollen Menschen einstellen, die wissen, wie man mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern gut kommunizieren und arbeiten kann ohne gravierende Missverständnisse und Tabubrüche. Offene Augen, offene Herzen, Achtsamkeit und eine gute Portion Humor helfen, manch direkten Tritt ins Fettnäpfchen zu verhindern – oder zu verkraften. Unternehmen wissen inzwischen, dass sie ihre Leute auf einen Auslandsaufenthalt vorbereiten müssen. Ebenso ist eine Begleitung notwendig nach Rückkehr, denn man erlebt noch mal einen Kulturschock, da man das eigene Land aus der Ferne ganz anders sieht – egal, wo man gelebt hat. So erhält man die beste Synergie in unserer globalisierten und zusammenrückenden Welt.


Sabine Krajewski
Tabu: Hinhören, hinsehen, besprechen
180 Seiten, Broschur, EUR 17,95
ISBN 978-3-89901-826-4
Auch als eBook erhältlich

Im Buchhandel oder bei Amazon* erhältlich


Titelfoto / Shanghai, das Symbol des chinesischen Wirtschaftswachstums. Foto: CAISSA Touristic

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