Stell dir vor, du gleitest auf deiner nächsten Tauchreise über ein sonnendurchflutetes Korallenriff. Plötzlich schält sich aus der blauen Tiefe eine Silhouette: Ein riesiger Rochen mit flügelartigen Flossen, der mit majestätischen Flügelschlägen durch das Wasser „fliegt“. Seine Oberseite schimmert golden und ist verziert mit einem Muster aus Linien und Flecken, so kunstvoll als hätte ein Maler ihn mit arabeskenartigen Mustern bemalt. Du hältst den Atem an – vor dir schwebt ein Ornate Eagle Ray – sein wissenschaftlicher Name lautet Aetomylaeus vespertilio. Ein Lebewesen, das so selten, dass es noch keinen deutschen Namen für es gibt und auch keinen Eintrag in der deutschen Wikipedia.
Auf diesen Rochen zu treffen, gilt unter Tauchern als nahezu legendär. Weltweit sind bisher weniger als 60 bestätigte Sichtungen dieser Art dokumentiert, was ihr den Beinamen „Einhorn der Meere“ eingebracht hat. Eine Begegnung mit diesem Rochen ist ein Moment, der dir für immer in Erinnerung bleibt.
Eine Legende der Tiefe – Seltenheit und Faszination

Der Ornate Eagle Ray gehört zu den seltensten Rochen der Welt. Er ist so außergewöhnlich rar, dass viele Meeresbiologen und Taucher jahrelang tauchen, ohne jemals einen zu Gesicht zu bekommen.
Dementsprechend groß ist die Aufregung, wenn doch einmal ein Exemplar auftaucht. Die erfahrene Meeresbiologin Jacinta Shackleton, die im März 2022 vor Lady Elliot Island (Australien) einen Ornate Eagle Ray entdeckte, beschreibt den Moment als „unvergesslich“ und „emotional“. Obwohl sie unzählige Tauchgänge am Great Barrier Reef unternommen hatte, war dies das erste Mal, dass sie einem Ornate Eagle Ray begegnete – wenige Wochen später folgte sogar eine zweite Begegnung.
Was macht diesen Rochen so besonders? Zum einen natürlich seine extreme Seltenheit – jede Sichtung fühlt sich an wie ein Lottogewinn unter Wasser. Zum anderen wissen wir bislang sehr wenig über ihn. Kaum Daten existieren über seine Lebensweise, weil Begegnungen so spärlich sind.
Klar ist: Die Ornate Eagle Rays sind laut der Weltnaturschutzunion (IUCN) vom Aussterben bedroht (Critically Endangered). Überfischung und Lebensraumverlust haben ihren Bestand über Jahrzehnte drastisch dezimiert. Einst war diese Art in Teilen Südostasiens keine völlige Seltenheit – im Golf von Thailand galt sie vor Jahrzehnten noch als relativ häufig. Doch intensive Grundschleppnetz-Fischerei und Beifang in Küstengewässern haben den „verzierten Adlerrochen“ (eine passende Übersetzung des Namens) an den Rand des Verschwindens gebracht. Gefangene Exemplare wurden auf Fischmärkten verkauft, so dass die Population stark zurückging. Heute gleicht die Suche nach einem Ornate Eagle Ray der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im „Heuhaufen Ozean“.

Gestalt und Muster – Schönheit in Gold und Schwarz
Auf den ersten Blick könnte man den Ornate Eagle Ray mit einem gewöhnlichen Adlerrochen (wie etwa dem häufigeren Weißgefleckten Adlerrochen) verwechseln – bis man das auffällige Muster erkennt. Die Oberseite dieses Rochens schimmert in Bronze- bis Kupfertönen und ist überzogen von einem labyrinthartigen Netz dunkler Linien und Ringe. Diese verflochtenen Linien bilden ein einzigartiges netzartiges Muster, das in der hinteren Körperhälfte wie Tupfen und vorne in streifenartigen Bändern erscheint. Keine zwei Tiere sehen genau gleich aus: Ähnlich wie Fingerabdrücke beim Menschen ist das Fleckenmuster bei jedem Ornate Eagle Ray individuell verschieden. Die Unterseite hingegen ist hell cremeweiß – ein Tarnmuster, das von unten gegen das Licht kaum auffällt.
Der Körperbau dieses Rochens ist ebenso beeindruckend wie sein Farbspiel. Mit einer Flossenspannweite von bis zu 2,4 Metern gehört der Ornate Eagle Ray zu den größten Rochen überhaupt. Nimmt man den enorm langen, peitschenartigen Schwanz hinzu, erreicht das Tier eine Gesamtlänge von etwa vier Metern. Auffällig ist, dass dieser Schwanz – anders als bei vielen Stechrochen – keinen Stachel trägt, was den Ornate Eagle Ray für Menschen harmlos macht. Sein Kopf wirkt etwas flacher und breiter als der anderer Adlerrochen, was ihm ein nahezu „drachenartiges“ Profil verleiht. Anders als die geselligeren Weißgefleckten Adlerrochen, die man oft in kleinen Gruppen antrifft, zieht der Ornate Eagle Ray meist allein seine Bahnen. Dieses einzelgängerische Verhalten, gepaart mit seiner Tarnfarbe und scheuen Natur, macht ihn zusätzlich schwer zu entdecken.

Warum ist dieser Rochen so schwer zu finden?
Die extreme Seltenheit des Ornate Eagle Ray hat mehrere Gründe. Ein wichtiger Faktor ist seine geringe Bestandsgröße infolge menschlichen Einflusses. Wie erwähnt, wird die Art inzwischen als kritisch gefährdet eingestuft. Viele Jahrzehnte intensiver Fischerei im Indopazifik – insbesondere bodennahe Fischfangmethoden – haben ihren Tribut gefordert. Da Rochen (ähnlich wie Haie) sehr langsam wachsen und sich nur langsam vermehren (ein Weibchen bekommt meist nur 4 bis 6 Jungtiere pro Wurf), können sie Verluste durch Fang nur schwer ausgleichen. Die Generationenzeit dieser Tiere beträgt rund 15 Jahre, und sie können über 20 Jahre alt werden – ein langsamer Lebenszyklus, der bei hoher Sterblichkeit von außen zur Falle wird.
Ornate Eagle Rays haben theoretisch ein großes Verbreitungsgebiet im Indo-Pazifik, von den Küsten Ostafrikas (Mosambik, Seychellen) über die Malediven und Indien bis nach Südostasien und Nordaustralien. Doch innerhalb dieses Areals scheinen sie nur in sehr niedriger Dichte vorzukommen.
Selbst an Orten, die eigentlich geeignet wären, werden sie kaum gesehen. Eine Untersuchung der IUCN machte dies eindrücklich klar: In einem 10-jährigen Projekt mit Unterwasserkameras an 391 Korallenriffen in 67 Ländern wurde der Ornate Eagle Ray zwischen 2009 und 2019 nur drei Mal aufgenommen – zwei Mal vor Westaustralien und ein Mal bei Palau. Man könnte sagen, er ist ein echter Geisterrochen!
Zudem bevorzugen Ornate Eagle Rays teilweise größere Tiefen. Taucher begegnen ihnen meist in flachen Riffregionen, doch tatsächlich kann die Art bis in über 100 Meter Tiefe vorkommen. Das liegt weit jenseits der typischen Sporttaucher-Reichweite, was die Chance auf Zufallsbeobachtungen weiter verringert.
Wenn die Rochen doch in tauchbare Zonen kommen, sind sie äußerst wachsam. All diese Faktoren – geringe Zahl, verstreutes Vorkommen, Tiefe und Scheu – tragen dazu bei, dass der Ornate Eagle Ray für uns Menschen so schwer fassbar ist.
Wo kannst du einem Ornate Eagle Ray begegnen?

Angesichts dieser Umstände mag es fast unmöglich erscheinen, jemals einen Ornate Eagle Ray in freier Wildbahn zu sehen. Doch es gibt einige wenige Hotspots, an denen in den letzten Jahren vermehrt Sichtungen geglückt sind. Wenn du dich auf die Suche nach dem Einhorn der Meere machen willst, könnten folgende Orte deine beste Chance bieten:
- Lady Elliot Island, Australien (Great Barrier Reef): Dieses kleine Koralleninselchen am südlichen Great Barrier Reef hat sich überraschend als Hotspot für Ornate Eagle Rays erwiesen. 2024 wurden hier über 30 Sichtungen der Art verzeichnet – mehr als die Hälfte aller weltweit bekannten Begegnungen, und das innerhalb eines Jahres. Besonders in den australischen Sommermonaten (ca. November bis März) scheinen die Chancen gut zu stehen. Ein dort tätiger Tauchlehrer, Oliver Richardson, berichtet, dass er seit 2021 ein Weibchen – von ihm „Hatchie“ getauft – bereits mehrfach gesehen hat. Hatchie tauchte sogar mit rundlichem Bauch auf, vermutlich trächtig, was bei Mitarbeitern und Forschern große Aufregung auslöste. Lady Elliot Island könnte durch eine besondere Kombination aus Lage, Strömungen und Wassertemperaturen attraktiv für die Rochen sein, vermuten Wissenschaftler. Jedenfalls gehört dieser Ort derzeit zu den wenigen, wo die Chancen auf eine Begegnung realistisch sind.
- Malediven (Nord-Malé-Atoll): Auch in den Malediven gab es vor kurzem spektakuläre Sichtungen. Am Hausriff der Insel Helengeli im Nord-Malé-Atoll entdeckten schnorchelnde Gäste am 30. Juli 2025 einen Ornate Eagle Ray – quasi direkt vor ihrer Bungalowtür. Die Resort-Biologen sprachen von einem einmaligen Glücksfall für die Urlauber. Erstaunlicherweise wurde derselbe Rochen möglicherweise nur Monate zuvor schon in der Nähe gesichtet: Im Januar 2025 meldeten Mitarbeiter benachbarter Inselresorts (Sangeli und Ailafushi, ebenfalls im Nord-Malé-Atoll) zwei weitere Sichtungen – einer tauchte im Lagunenbereich auf, ein anderer wurde von Gästen fotografiert. Diese Häufung lässt hoffen, dass die Malediven – bekannt für Mantas und andere Rochen – auch dem seltenen Ornate Eagle Ray gelegentlich Zuflucht bieten. Taucher sollten vor allem an strömungsreichen Kanal-Eingängen der Atolle und nahe unberührten Riffen die Augen offen halten.
- Bazaruto-Archipel, Mosambik: Vor der Küste Mosambiks gelang Forschern der Marine Megafauna Foundation im Mai 2021 ein echter Doppelschlag. Bei Tauchgängen im Bazaruto-Archipel (einem Meeresschutzgebiet) sichtete der Biologe Janneman Conradie zunächst einen Ornate Eagle Ray – und nur drei Tage später, rund 55 Kilometer südlich, noch einen.
Ob es sich um dasselbe Tier oder zwei verschiedene handelte, konnte nicht bestätigt werden, doch allein diese Begegnungen versetzten die Experten in Staunen. Bis dahin gab es in der gesamten Region Südostafrikas nur einen einzigen offiziellen Nachweis dieser Art: 2018 fing ein Angler vor Richards Bay (Südafrika) versehentlich einen Ornate Eagle Ray an der Angel und ließ ihn nach Identifizierung wieder frei. Der Bazaruto-Archipel gilt nun als möglicher Schlüssel-Hotspot, und weitere Forschungs- sowie Schutzmaßnahmen wurden angeregt. Für abenteuerlustige Taucher, die Mosambiks vielfältige Riffe erkunden, bleibt die Chance auf eine Sichtung zwar gering, aber sie ist vorhanden – die Gewässer rund um die Inseln Bazaruto und Benguerra sollte man im Auge behalten.
Auch an anderen Ecken des Indo-Pazifik gibt es vereinzelt Meldungen: von Western Australia (Ningaloo-Riff) über Palau bis zu entlegenen Atollen wie den Seychellen und sogar dem Roten Meer. Insgesamt aber bleibt jede Sichtung ein absoluter Ausnahmefall.
Titelfoto / Seltener Zieradlerrochens (Aetomylaeus vespertilio) in Landaa Giraavaru, Baa-Atoll, Malediven (Februar 2018). / Foto: SunnyMart / Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license
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