Spitze des Kanus auf dem Wasser. Die Beine von Thomas sind auch zu sehen

Abenteuer Garonne: Im Kanu von den Pyrenäen bis Bordeaux

Muskelkater, Mücken, Mitmenschen – und ein Fluss, der einem alles abverlangt, aber auch alles schenkt

„Die Garonne? Die paddelt niemand runter.“ Bastien, Rafting-Guide aus den Pyrenäen, schüttelt den Kopf. Zu wild, zu unberechenbar sei dieser Fluss. Dann nimmt er doch meine 300 Euro und überreicht mir ein viel zu großes Kanu – mit einem Achselzucken, das irgendwo zwischen Resignation und Abenteuerlust liegt.

Stromschnellen und stille Uferlandschaften

So beginnt eine Reise, die mehr ist als ein sportlicher Ausflug: 500 Kilometer im Kanu, vom Rand der Pyrenäen bis zur Atlantikküste bei Bordeaux. Durch Stromschnellen, unter Brücken, vorbei an Metropolen und stillen Uferlandschaften. Und immer mit dem Fluss als unberechenbarem Partner, der mir am Ende eine Erkenntnis schenkt: Manchmal bedeutet gerade das Unplanbare die größte Freiheit.

Im Kanu von den Pyrenäen bis Bordeaux - einsames Kanu auf dem Fluss
Großer Fluss und kleiner Paddler. Der Autor auf dem Weg nach Toulouse / Foto: Thomas Bauer

„Die Garonne? Die fährt man nicht mit dem Kanu.“ Bastien wiederholt seinen Einwand und schaut mich an, als hätte ich ihn nach einer Marsmission gefragt. Seit acht Jahren bietet er Rafting an, kennt den Fluss – und warnt: ungestüm, launisch, unberechenbar. Für mich klingt das wie eine Einladung. Christian steht neben mir und schüttelt ungläubig den Kopf. Seit 20 Jahren will er mich auf eine dieser „verrückten Touren“ begleiten – jetzt ist es endlich so weit.

Herausforderungen

Bastien lässt uns ein grünes Dreier-Kanu da, viel zu schwer, viel zu groß. Wir nennen es Arnold, in Anlehnung an einen berühmten Muskelmann aus Hollywood. Mit unseren Seesäcken bepackt, wuchten wir das Ding ins Wasser – und zack, reißt uns die Garonne mit. Kein friedliches Gekräusel, sondern ein Wildbach im Adrenalinrausch. Wellen klatschen gegen Arnolds Bug, Steine krachen gegen den Kiel, und wir werden kräftig durcheinandergerüttelt. Schon nach wenigen Minuten wird klar: Die Garonne ist nicht unser Spielplatz – sie ist das Spiel. Und wir sind die Figuren.

Trotzdem rauschen wir voran – zehn, fünfzehn Stundenkilometer – und erreichen früh die Stromschnellen von Montréjeau. „Lächerlich“, sagt Christian plötzlich. War er nicht eben noch nervös? Jetzt will er „mitten durch die Hauptströmung“. Der Fluss verändert uns. Rasend schnell.

Die Garonne entspringt in den spanischen Pyrenäen, schlängelt sich über 500 Kilometer durch Frankreich, durch Toulouse und Bordeaux, und mündet schließlich in die Gironde – Europas größtem Flusstrichter. Ein wilder, schöner Fluss. Naturbelassen. Stolz. Und für uns: herausfordernd.

Arnold wird gegen Arnaud getauscht

Thomas im Kanu am Ufer
Siegessicher posiert der Autor mit Kanu Arnold – kurz darauf sollten beide kentern / Foto: Thomas Bauer

Was uns zu schaffen macht, sind weniger die Strömungen als Menschenwerke: Wehre, Schleusen, Staustufen. Ein besonders gemeines Wehr zwingt uns, Arnold über einen Kilometer weit zu schleppen. Unser Glück: Yannick, unser AirBnB-Gastgeber, hat uns ein zurechtgesägtes Skateboard überlassen. Ohne das hätten wir aufgeben müssen.

Nach einer weiteren Eskapade – Kentern inklusive – ist klar: Arnold ist zu schwer, zu sperrig, zu durstig, wenn’s um Flusswasser geht. Wir rufen Pascale, unsere nächste Gastgeberin, an und bitten sie, uns abzuholen. Wo wir sind? Irgendwo zwischen Apfelhain und Ufergestrüpp. Zwei Stunden später findet sie uns.

Am nächsten Morgen stehen wir bei Decathlon. „Wir kaufen ein Kanu“, sage ich. Was wir finden, ist aufblasbar, wendig und leicht. Arnaud nennen wir es. Arnold vermachen wir Pascale und ihrem Mann. Heute ist er Fotomotiv bei Hochzeiten im Schlossgarten von Saint-Martory.

Thomas Bauer paddelt im Kanu
Einer von einer halben Million Paddelschlägen – Thomas Bauer und Kanu Arnaud / Foto: Thomas Bauer

Von Routine, den eigentlichen Herausforderungen und schönen Herrschaftshäusern

Wenige Tage später erreichen wir Toulouse. Christian muss heim. Ich paddle allein weiter. Die Garonne gehört jetzt mir – und den Milanen, Kormoranen, springenden Fischen und Nutrias. Menschen? Drei Angler auf 500 Kilometern.

Das Paddeln selbst wird Routine. Arnaud gleitet geschmeidig, mein Körper reagiert instinktiv – ich lenke schon nach rechts, ehe ich einen Stein unter Wasser überhaupt sehe. Die eigentlichen Herausforderungen warten an Land: Brennnesseln, Dornen, steile Uferböschungen. Ich schleppe das Kanu, schiebe es, fluche leise. Dann lauter. An Land wird der sonst so geschmeidige Arnaud zu einer unhandlichen Bürde.

Die Unterkünfte sind dagegen wunderschön – alte Herrschaftshäuser mit Pool und Park, bewohnt von kontaktfreudigen Rentnern, die sich über einen Paddler aus Deutschland freuen.

Das Kanu wird zum Wohnzimmer

Die Bootsspitze ist im Bild und hinten Häuser
Fast geschaft, Arnaud vor den ersten Gebäuden von Bordeaux / Foto: Thomas Bauer

Tagsüber wird es jetzt bis zu 38 Grad heiß. Ich paddle in Badehose, lasse Luft aus dem Kanu, fülle immer wieder meine Baseballkappe mit Wasser und kühle damit meinen Kopf. Ich esse im Kanu, ziehe mich darin um und schmiere mich mit Sonnencreme ein. Das Kanu ist eine Art Wohnzimmer geworden.

150 Kilometer vor der Küste wird der Atlantik zum Taktgeber: Zweimal täglich zieht und drückt die Tide – der Fluss kehrt um, fließt rückwärts. Timing ist alles.

Kurz vor Bordeaux lerne ich Frédérique kennen. Sie lädt mich zum Grillen ein, hört sich meine Geschichte an, fährt mich nach Bordeaux und hilft mir dort bei der Suche nach einem Ausstiegspunkt. Ohne Leute wie sie, Pascale und Yannick hätte ich es nie geschafft.

Geschafft

Am letzten Tag: Die erste Brücke von Bordeaux am Horizont. Ich paddle wie im Rausch. Die Ebbe naht, gleich kommt die Le Mascaret, die gefürchtete Gezeitenwelle, die eine Schubumkehr des Wassers einleitet. Ich muss vorher durch. Vierzig Minuten fahre ich im Zickzack voran, ignoriere Zurufe vom Ufer, ziehe ein letztes Mal die Paddel mit voller Kraft durchs Wasser. Dann endlich: die Pontonbrücke der Wasserwacht. Hier krieche ich an Land.

Nach zwei Wochen, 500 Kilometern, einer halben Million Paddelschlägen bin ich da. In Bordeaux. Und die Garonne? Doch. Man kann sie mit einem Kanu befahren.

Info-Box

Anreise: Von Paris per Nachtzug nach Toulouse, anschließend mit dem Vorortzug TER nach Montréjeau, dann mit dem Bus Richtung Luchon.

Beste Reisezeit: Mai/Juni, wenn die Schneeschmelze vorbei ist und die Garonne vergleichsweise viel Wasser führt, oder September/Oktober, wenn sich die Vegetation verfärbt und spektakuläre Sonnenuntergänge zu erwarten sind.

Zu beachten: Schwierigkeiten bereiten insbesondere die fehlende Infrastruktur, die Abwesenheit von Umtragemöglichkeiten bei Wehren und Staustufen und die Tatsache, dass sich die meisten Unterkünfte und Restaurants nicht in unmittelbarer Nähe der Garonne befinden. Es gibt vergleichsweise wenig Ausstiegsmöglichkeiten und oftmals kilometerweit nur dornenreiches Gestrüpp. An Flachwasserstellen muss man das Kanu tragen.

Warum das Ganze: Man erlebt eine große Verbundenheit mit der Natur mitten in Europa und sieht dem Fluss beim Größerwerden zu. Einsame Momente werden dabei immer wieder unterbrochen von echter Gastfreundschaft, gutem Essen und allen Vorzügen Südfrankreichs. Unterwegs erlebt man die schillernden Metropolen Toulouse und Bordeaux sowie reizvolle Kleinstädte wie Agen und Muret vom Wasser aus.

Weitere Informationen: Abenteurer Thomas Bauer hat 14 Bücher über seine Touren veröffentlicht. Mehr Informationen auch zu Veranstaltungen auf seiner Webseite.

Im September 2025 erscheint „Abenteuer Europa“ im MANA-Verlag, Berlin.

Thomas Bauer

Titelfoto / Homebase – Das Kanu als Lebensraum / Foto: Thomas Bauer

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