Abenteurer Thomas Bauer schwimmt die Aare entlang durch die Schweiz
Für einen Abenteurer ist kaum ein Reiseland so unsexy wie die Schweiz. Man punktet nicht mit einer Tour nach Bern. Unser Nachbarland wirkt zu wohlhabend, zu zufrieden – bewohnt von glücklichen Menschen mit dicken Konten, die in ihren Tälern sitzen und dort Dinge erfinden, um die sie die ganze Welt beneidet: Uhren und Taschenmesser, Schokolade und Kräuterbonbons.

Erste Etappen: Oberaarsee bis Thunersee
Doch die Aare, der längste innerhalb der Schweiz verlaufende Fluss, straft dieses Klischee Lügen. Das merke ich am ersten Tag, als ich in den Oberaarsee springe: Vier Grad, das Wasser ein Faustschlag ins Gesicht. Nach zehn Minuten flüchte ich bibbernd. Von hier stürzt die Aare talwärts, schafft Strom für gigantische Kraftwerke und frisst sich bei Meiringen durch eine der spektakulärsten Schluchten Europas, bevor sie im Brienzer- und Thunersee vorerst zur Ruhe kommt.

Diese beiden Seen längs zu durchschwimmen, je 20 Kilometer, gehört zu den härtesten Prüfungen auf meiner (Tor-)Tour. Der Neoprenanzug schützt zwar, saugt sich aber voll und bremst. Dazu ziehe ich einen roten Seesack hinter mir her. Für die Etappe nach Brienz brauche ich eine volle Stunde – im Schneckentempo von zweieinhalb km/h. Für einen Ex-Leistungsschwimmer eine Qual.
Mit Hochwasser nach Bern
Zwischen Thun und Bern dann das Gegenteil: Hochwasser beschleunigt die Aare, ganze Baumstämme treiben neben mir. Die Wucht gleicht der Energie zweier Güterzüge. Ich tausche Schwimmflossen gegen Kanu – und rase plötzlich wie von Tretroller auf Motorrad gewechselt durch Gischt und Strudel.
Dass die Aare kein Planschbecken ist, zeigen Zahlen: Über 30.000 Menschen ertrinken jährlich in Europa, laut WHO sind es noch weit mehr. Strömungen, Strudel und Kälteschock werden selbst von guten Schwimmern unterschätzt. Meine Ausbildung bei der Wasserwacht zahlt sich nun aus.

Kurz vor Bern schiebt mich der Fluss mit 12 km/h an den Fassaden der Innenstadt vorbei – so rasant, dass ich aussteige, durch die Stadt zurückgehe und die Strecke gleich noch einmal schwimme. Das ist der schönste Tage meiner Tour!
Hinter dem Bielersee öffnet sich die Landschaft. Weniger erfreulich sind die Schweizer Verbotsschilder an jeder Ecke. In Solothurn überrascht die Aare dann wieder positiv: schmucke Häuser, vier Brücken, schon bin ich hindurchgeschwommen.

Konzentration und kleine Pausen
Ab hier gilt volle Konzentration: Der Blick eines Schwimmers scannt ständig das Ufer nach Ausstiegsmöglichkeiten. Strömungswechsel spüre ich frühzeitig auf, um nicht in Gefahr gezogen zu werden. Nach zweieinhalb Stunden im Wasser wanke ich ans Land, hungrig wie ein Wolf – gut, dass Schokolade und Ovomaltine hier in der Schweiz immer in Reichweite sind.

Ich lerne, dem Fluss zu vertrauen. Widerstand ist sinnlos. Besser, man gibt sich hin, schließt auch mal die Augen, hört nur das Zischen der Äste, die Flügelschläge der Schwäne, das Rattern eines Motors hinter der Biegung.
Abende am Ufer – und eine wachsende Zuneigung
Abends in Wangen sitze ich am Ufer, beobachte, wie das Mondlicht auf dem Fluss tanzt – und merke erschrocken, dass ich mich in die Aare verliebe. Ihr Wasser trägt das Versprechen, jederzeit woandershin zu können.

Mein letzter Schwimmtag hält einen Schlüsselmoment für mich bereit: Ich schwimme unter dem letzten Bauwerk der Schweiz hindurch – es trägt den originellen Namen »Aarebrücke« – am Zoll vorbei direkt in die EU, wie mir erst unter der Brücke auffällt. Dazu vereinen sich Aare und Rhein zu einer wuchtigen Strömung, die mich fast überfordert. Doch ich erreiche das deutsche Ufer, erschöpft, aber glücklich.

Manches Mal kostete es Überwindung, frühmorgens in Regen oder Nebel ins Wasser zu steigen. Doch letztlich habe ich die Schweiz vom Aaregletscher bis zum Rhein schwimmend gemeistert – und gelernt: Sie ist herausfordernder, vielseitiger und überraschender, als ich ursprünglich dachte.
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Warum das Ganze
Man erlebt eine große Verbundenheit mit der Natur mitten in Europa und sieht dem Fluss beim Größerwerden zu. Die Vielseitigkeit der Schweiz lernt man auf eine ganz eigene Weise kennen und schätzen. Die Aareschlucht bei Meiringen ist ein Highlight, durch Bern und Solothurn zu schwimmen unvergesslich.

Info-Box
Anreise: Vom Bodensee per Auto in drei, per Zug in sechs Stunden zum Grimselpass, von dort über die alle halbe Stunde geöffnete »Panoramastraße Oberaar« per Auto in einer Viertelstunde oder zu Fuß in anderthalb Stunden zum Oberaarsee.
Beste Reisezeit: Mai bis Oktober
Wasserwacht: Zu den häufigsten Gefahren gehören Unterströmungen und Strudel (insb. nach Hindernissen wie Brückenpfeilern), Kehrwasser, Untiefen sowie Steine kurz unterhalb und Äste kurz oberhalb der Wasseroberfläche. Entscheidend ist, wachsam und vorausschauend zu schwimmen und die eigenen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen.
Eine Ausbildung bei der Wasserwacht hilft! Infos Wasserwacht: www.mit-sicherheit-am-wasser.de
Spenden Wasserwacht Bayern: www.wasserwacht.bayern/ueber-uns/spenden
Ein großes Dankeschön für die Ausstattung geht an die Wasserwacht Tutzing: www.wasserwacht-tutzing.de

Weitere Informationen: Abenteurer Thomas Bauer hat 14 Bücher über seinen Touren veröffentlicht. Im September 2025 erscheint sein neues Buch „Abenteuer Europa“ im MANA-Verlag, Berlin.
Thomas Bauer, Abenteurer und Reisebuchautor
Titelfoto / Autor und Abenteurer Thomas Bauer nimmt die Aare an ihrer Quelle in Empfang – eiskalt, wild und ungezähmt. / Foto: Bernd Pfitzner
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