Dagmar ist eine ausgewiesene Kasachstan-Kennerin. Durch eine plötzliche Erkrankung war sie gezwungen, sich länger bei einer Familie auf dem Land aufzuhalten. Das erwies sich als Glücksumstand, denn dadurch gelang ihr ein tieferer Einblick in das Leben der Menschen auf dem Land. In Majmyr kann man übrigens auch einen Landurlaub mit oder ohne Reit-Einlagen buchen.
Der ganz plötzlich aus der Klamm hervorspringende Wind scheint die Gletscherkälte vom Oberlauf des Majmyr mit sich zu tragen. Ein Gruß von den Sarymsakty-Bergen. Im Nu ist die flirrende Hitze des Julitages weggeblasen und mich fröstelt. Auf meiner Fleecejacke hat sich die kleine eisgraue Katze niedergelassen, sie putzt sich andächtig. Ich mag sie nicht verjagen und beginne, in der Küche herumzuwirtschaften. Die Männer brauchen Abendbrot. Pascha fährt immer noch mit dem Einspänner die große Wiese auf und ab, er zieht einen breiten Rechen mit langen, gebogenen Gabeln hinter sich her und sammelt das vorgestern gemähte und heute schon trockene Gras auf. Wenn der Rechen die Menge nicht mehr fast, fährt Pascha den Heuhaufen in der Mitte der Wiese an, hier steht Serjoga mit der Gabel, zieht das Heu unter dem Rechen hervor und wuchtet es auf den Haufen. In der Abendkühle wirken seine Bewegungen leichter.
Ich lege den Hebel der Gasflasche um, zünde zwei Flammen an und stelle einen großen Topf mit Wasser und den Teekessel aufs Feuer. Als das Wasser kocht, lasse ich ein Kilo Spiralnudeln hineinplumpsen. Ich finde Zwiebeln, ein Glas mit Schmandresten, eine Tomate, halbvertrockneten Dill und ein paar unbekannte Gewürze. Drüben im Blockhaus, wo die Männer wohnen, soll im Kühlschrank ein Topf mit gekochtem Rindfleisch sein. Als Natascha morgens abreiste, hatte sie gemeint, ich könne das irgendwie aufbraten. Ich schneide die Zwiebeln, stelle eine Pfanne mit Öl aufs Feuer, brate die Zwiebeln an, werfe Tomatenstückchen dazu, lasse alles dünsten und hole das Fleisch. Suppenfleisch mit allem drum und dran, nicht ganz mein Fall. Ich schnetzele es in Streifen, tue es zu Zwiebeln und Tomaten, lasse alles anbraten. Mit dem Nudelwasser löse ich die Schmandreste aus dem Glas und lösche damit das Zwiebeltomatenfleisch ab. Beherzt werfe ich alle möglichen Gewürze zu der Mischung, lasse alles nochmal aufkochen und koste. Besser, als ich dachte. Der Dill könnte es abrunden. Ich schneide Brot, decke den Tisch und sehe nach den Männern. Es ist fast dunkel und sie haben gerade die Hühner eingesperrt und die Pferde ins Gatter getrieben.
“Kuschatj”, rufe ich über die Wiese. Serjoga kommt sofort, sein sonnenverbranntes Gesicht mit den hellen Augen leuchtet erwartungsvoll. Er lobt das Essen nach dem ersten Bissen. Höflicher Mensch, denke ich. Pascha isst langsam, sein Blick ist wie immer ausweichend. Er ist erst 18, seine Schüchternheit rührt mich. Nachschlag lehnt er ab, aber Serjoga verdrückt auch die zweite Portion mit beachtlicher Geschwindigkeit. Das Teetrinken geschieht schweigend. Obwohl ich gern schweige, möchte ich, dass jemand etwas sagt. “Womit füttern wir denn die Hunde?”, höre ich mich fragen. Serjoga deckt einen großen Topf auf, aus dem es leicht säuerlich riecht. Grützbrei mit Fleischresten, mindestens 10 Liter. Plötzlich sind sie alle da: der aristokratische Jagdhund Athos, der hinkende zottelige Graf, die nervöse weiße Laika Gilsa, ihr misstrauischer schwarzer Bruder Patron, und die goldgelbe geschmeidige Schmeichlerin Sobol. Sie umtanzen Serjoga mit dem Topf. Er verschwindet mit der Meute im Dunkel, und für 10 Minuten sehe und höre ich keinen der Hunde.
Dann, als ich draußen neben dem Bach in einer Schüssel das Geschirr wasche, erscheint plötzlich Graf. Er guckt mich hungrig an. Haben die anderen, jüngeren und stärkeren Hunde ihn vom Grütztopf verdrängt? Woher weiß er, dass ich noch etwas in der Pfanne habe? Ich vermische den Fleischrest mit Nudeln und einem Teil des öligen Kochwassers, der Hund schlingt im Handumdrehen alles weg. Dann guckt er wieder hungrig. Ich bringe zwei Stücken altes Brot aus der Küche, er schnappt es mir gierig aus der Hand. Ich hocke mich wieder zum Abwaschen hin, Graf legt sich so dicht neben mich, dass sein Fell mich kitzelt. Die Dankbarkeit des alten Hundes, der sonst keinen an sich heranlässt, macht mich froh.
Auf dem Weg zum Klohäuschen komme ich am Heuhaufen vorbei. Meine schnupfengeplagte Nase lässt plötzlich den Duft des trockenen Grases und das Aroma der unzähligen Blumen durch und ich atme glücklich durch. Ich finde es plötzlich nicht mehr ärgerlich, dass ich ausgerechnet hier krankgeworden bin und die Gruppe ohne mich weitergefahren ist. Die Bjelucha werde ich ein andermal besuchen, der rätselhafte Berg wird sich mir bestimmt noch einmal ohne Wolken zeigen. Ich gehe runter zum Flüsschen, schaue auf das dunkle Wasser, lausche dem Rauschen und dem Rumpeln des kleinen Kraftwerks. All meine Kindheitsträume sind in diesem Rumpeln. In der Natur leben, unabhängig sein von der Stadt, sich selbst versorgen mit Essen und Strom, Tiere um sich haben. Alexej hat sich diesen Traum erfüllt. Der schweigsame, kräftige, als Jagdflieger früh in die Pension entlassene Mann hat sich fernab der Stadt rund um das Haus seiner Mutter ein kleines Paradies geschaffen. Das nächste Dorf ist zehn Kilometer entfernt, man sieht es gerade so, wenn man über das weite Tal nach Norden in Richtung Altaj blickt. Seine Töchter Natascha und Valentina besuchen ihn manchmal, sonst hat er ein paar Männer aus dem Dorf um sich, die ihm zur Hand gehen. Es gibt immer etwas zu bauen, zu reparieren, die Tiere verlangen Futter und Pflege. Heute Morgen hatte er zu mir gesagt: “Fühl Dich wie zu Hause, werd gesund, Kühlschrank und Küchenregal sind voll.” Dann war er mit Natascha in die Stadt gefahren. Wie lange er bleiben würde, wusste ich nicht.
Ich gehe wieder zurück, sperre die Küche ab und wasche mich mit kaltem Wasser in der Banja. Der noch fast volle Mond kommt über den Bergrand gekrochen. Die Helligkeit der Sterne verblasst. Außer dem geschäftigen Murmeln des Baches und dem Windgeflüster ist nichts zu hören. Ich setze mich kurz auf die Veranda, dann fällt mir wieder auf, dass mir kalt ist. Die Katze schläft auf meiner Jacke. Ich steige die Holztreppe hoch, betrete die dunkle Hütte, finde den Stromschalter und beginne, in meinem Rucksack nach einem wärmeren Shirt zu wühlen. Nach einem Blick auf die mondbeschienene Nacht vor dem Fenster besinne ich mich eines Besseren. Ich unterwerfe mich dem Zeitlauf der Natur, lösche das Licht und werfe mich auf das bequeme Bett mit den dicken Federkissen. Zum ersten Mal seit Monaten schlafe ich durch.
Dagmar Schreiber
Dagmar ist nicht nur eine ausgewiesene Kennerin der Region, sie ist zudem eine ausgezeichnete Reiseführerin. Ihr Spezialistenwissen findet Eingang in ihren Reiseführern, die bereits in mehreren Auflagen erschienen sind.
Mehr Informationen über Dagmar Schreiber:
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Titelfoto / Majmyr: Blick in die Klamm. / Foto: Dagmar Schreiber
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