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Warschau: 70 Jahre nach dem Gettoaufstand öffnet das neue Jüdische Museum

Zum 70. Jahrestag des Gettoaufstands am 19. April 2013 wird in Warszawa (Warschau) das neue Jüdische Museum eröffnet. Der Bau des finnischen Architektenbüros Lahdelma & Mahlamäki zählt zu den spektakulärsten Neubauprojekten in Polens Hauptstadt. Bis Mitte Mai 2013 erwartet die Besucher ein kulturelles Programm mit Filmvorführungen, Konzerten, Diskussionen und Stadtteilführungen. Die multimediale Ausstellung zur Geschichte der polnischen Juden soll bis Anfang 2014 fertig installiert sein.

Vor dem Zweiten Weltkrieg waren zehn Prozent der polnischen Bevölkerung jüdischen Glaubens. Warschau war mit einem Drittel jüdischer Bevölkerung die größte Stadt mosaischen Glaubens in ganz Europa. Der jahrhundertealten Geschichte der Juden in Polen, die mit der Vernichtung durch das nationalsozialistische Regime Hitlers ein jähes Ende fand, widmet sich künftig das Muzeum Historii Żydów Polskich (Museum der Geschichte der polnischen Juden). Das Projekt entstand in gut fünfjähriger Bauzeit am plac Bohaterów Getta (Platz der Gettohelden), gegenüber dem Denkmal, das an den Aufstand der Gettobewohner im Jahr 1943 erinnert.

Eine doppelte Haut umgibt den streng wirkenden Kubus des Jüdischen Museums. Seine äußere Schicht besteht aus Glas und Kupfer, die innere aus Beton. Die Flächen schimmern in der Sonne wie die Flügel eines Insekts. Foto: R. Grunt / Polnisches Fremdenverkehrsamt
Eine doppelte Haut umgibt den streng wirkenden Kubus des Jüdischen Museums. Seine äußere Schicht besteht aus Glas und Kupfer, die innere aus Beton. Die Flächen schimmern in der Sonne wie die Flügel eines Insekts. Foto: R. Grunt / Polnisches Fremdenverkehrsamt

Mehr als 100 Architekten und Büros hatten sich an dem internationalen Wettbewerb beteiligt, den die beiden finnischen Architekten Rainer Mahlamäki und Ilmari Lahdelma gewannen. Mahlamäki sieht seinen Bau als einen strahlenden Leuchtturm im öffentlichen Raum. Er soll die Zukunft und die Hoffnung symbolisieren. Zugleich durchzieht ein symbolischer Riss den Kubus und erinnert an den Bruch in der

Geschichte der Juden in Polen. Eine doppelte Haut umgibt den streng wirkenden Kubus. Seine äußere Schicht besteht aus Glas und Kupfer, die innere aus Beton. Die Flächen schimmern in der Sonne wie die Flügel eines Insekts. Die geschwungenen Wände der Eingangshalle sollen das Schilfmeer symbolisieren, durch das einst Mose die Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft führte.

Das Museumsgebäude besitzt vier oberirdische sowie zwei Stockwerke unter der Erde. Letztere sollen künftig die eigentliche Ausstellung beherbergen. Während sich hier der Blick vor allem in die Vergangenheit richtet, stehen die oberen Gebäudeteile für Gegenwart und Zukunft. Dort befinden sich ein Konferenzraum für bis zu 480 Personen, zwei kleinere Veranstaltungssäle sowie die Mitarbeiterbüros. Darüber hinaus stehen dort Räume für wechselnde Ausstellungen zur Verfügung. Das moderne Kulturzentrum verfügt außerdem über einen Kino- und einen Konzertsaal sowie ein Restaurant und ein Café. Die Nutzfläche des rund 48 Millionen Euro teuren Gebäudes beträgt knapp 13.000 Quadratmeter.

Die geschwungenen Wände der Eingangshalle sollen das Schilfmeer symbolisieren, durch das einst Mose die Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft führte. Foto: R. Grunt / Polnisches Fremdenverkehrsamt
Die geschwungenen Wände der Eingangshalle sollen das Schilfmeer symbolisieren, durch das einst Mose die Israeliten aus der ägyptischen Gefangenschaft führte. Foto: R. Grunt / Polnisches Fremdenverkehrsamt

Das Herzstück des neuen Museums stellt die multimediale Ausstellung über die Geschichte der polnischen Juden dar. Sie will auf über 4.000 Quadratmetern die Geschichte der Juden von ihren Anfängen im Mittelalter bis in die Gegenwart in insgesamt acht Stationen darstellen. Ein internationales Team aus 120 Historikern und Museumsmitarbeitern unter Leitung von Prof. Barbara Kirshenblatt-Gimblett von der New Yorker Universität hat das Konzept dafür erarbeitet. Die Ausstellungsmacher von der britischen Firma Event Communications und der polnischen Firma Nizio Design setzen auf einen durchgehenden Erzählstrang, der Geschichte, Kultur und Religion der polnischen Juden anhand zahlreichen Quellenmaterials illustriert und erfahrbar macht. Die Shoah wird ebenso wenig ausgespart wie die Situation der jüdischen Bürger Polens nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem aber wird von jahrhundertelanger friedlicher Koexistenz und Durchdringung der Kulturen sowie den Leistungen der jüdischen Bevölkerung für die Gesellschaft die Rede sein.

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Auch wenn der Aufbau der Ausstellung noch bis Ende des Jahres dauern wird, befindet sich jetzt schon ein interessantes Unikat in den Gewölben. Bereits zu Jahresbeginn wurde die im verkleinerten Maßstab angefertigte originalgetreue Replik einer prachtvollen Synagogendecke dort montiert. Unter der Leitung der US-amerikanischen Firma Handshouse Studios wurde das aus dem 17. Jahrhundert stammende und während des Zweiten Weltkriegs zerstörte Kunstwerk zu neuem Leben erweckt. Als Vorlage dienten alte Fotos und Zeichnungen. Die Holzschnitzdecke gehörte einst zum jüdischen Gotteshaus von Gwoździec, dem heutigen Hwisdez in der Ukraine.

Das Museumsgebäude besitzt vier oberirdische sowie zwei Stockwerke unter der Erde. Foto: R. Grunt / Polnisches Fremdenverkehrsamt
Das Museumsgebäude besitzt vier oberirdische sowie zwei Stockwerke unter der Erde. Foto: R. Grunt / Polnisches Fremdenverkehrsamt

Während die Ausstellung erst ab 2014 zu sehen sein wird, ist der oberirdische Bereich des neuen Museums bereits in diesem Frühjahr für den Publikumsverkehr geöffnet. Die feierliche Auftaktveranstaltung findet am 19. April in Anwesenheit hochrangiger Persönlichkeiten aus Polen und aller Welt am pl. Bohaterów Getta statt. An diesem Tag, an dem sich zum 70. Mal der Ausbruch des Aufstandes im Warschauer Getto jährt, können geladene Gäste erstmals einem Konzert im neu eröffneten Museumsgebäude lauschen. Der bewaffnete Kampf der letzten Gettoinsassen endete innerhalb eines knappen Monats mit der Niederschlagung durch die deutschen Truppen und der totalen Zerstörung des Gettogeländes. An dieses tragische Ereignis erinnert das Museum mit einer Veranstaltungsreihe.

Am 20. und 21. April können alle Interessierten das neue Gebäude im Herzen der Weichselstadt bei freiem Eintritt besichtigen. Während dieser Tage sind verschiedene Veranstaltungen geplant. So wird am 20. April in einer Vorpremiere der neue Film von Agnieszka Arnold „Der unbesiegbare Kasimir“ über einen der letzten Überlebenden des Gettoaufstandes gezeigt. Am 21. April können Interessierte an einer geführten Radtour durch das Getto teilnehmen oder das Tribute to Marek Edelman-Konzert der Wojtek Mazolewski Bund Band genießen. Der letzte überlebende Kommandant des Aufstandes starb 2009. Die Musiker haben klassische Arbeiterlieder der sozialistischen jüdischen Vereinigung Bund verjazzt, deren Mitglied Edelman zeitlebens war.

Bis zum 16. Mai, dem symbolischen Ende des Gettoaufstandes, organisiert das Museum weitere Filmvorführungen, Theater- und Konzertabende, Stadtspaziergänge und Diskussionsveranstaltungen. Symbol der Feierlichkeiten ist die Jonquille. Diese schlanke Narzissenart blüht jedes Jahr zum Warschauer Frühling, so auch während des Gettoaufstandes. Marek Edelman legte die zarten gelben Blumen seit 1946 am Jahrestag zum Gedenken an die Ermordeten und Gefallenen nieder. Heute sollen sie Erinnerung, Gedenken und Hoffnung symbolisieren.

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